Remember, remember the 5th of November …: ein Beispiel britischer Feierkultur
Halloween, Allerheiligen, Erntedank, Martinisingen – vielleicht nicht ohne Grund reiht sich im tristen Monat November ein bunter Feiertag an den nächsten. Es hat den Anschein, als ob beleuchtete Kürbisse, bunte Erntegaben und flackernde Laternen Licht ins Dunkel dieser Herbsttage bringen sollen. Zwar sind längst Bräuche wie das Aushöhlen von Kürbissen und gruselige Kostüme in vielen Ländern präsent. Dennoch lassen sich viele dieser Bräuche nicht auf einen einzelnen Ursprung zurückführen.
Bonfire Night als britisches Kultur-Highlight
Wer sich dieser Tage in Großbritannien aufhält, erlebt an vielen Orten ein ähnlich mysteriöses Schauspiel aus flammenden Lichtern. Am 5. November wird dort mit Fackelumzügen und Feuerwerken eines historischen Ereignisses gedacht, das aus heutiger Sicht zunächst kaum erinnerungswürdig erscheint. Denn der Auslöser der sogenannten Bonfire Night liegt im England des frühen 17. Jahrhunderts. Am 5. November 1605 versuchte eine Gruppe katholischer Verschwörer um den Anführer Guy Fawkes den damaligen König James I. und das Parlament in die Luft zu sprengen. Guy Fawkes hatte zuvor 36 Fässer Schießpulver in den Keller des Parlaments gebracht. Der Anschlag gelang nicht. Am Morgen des 5. November wurden die Fässer entdeckt, Guy Fawkes und seine Anhänger verhaftet und hingerichtet.
Zum Glück. Man schätzt, dass ein erfolgreicher Anschlag katastrophale Auswirkungen gehabt hätte: Etwa eine halbe Meile im Umkreis des Parlaments wäre zerstört worden. In der Tat ein verheerendes Ereignis im sonst so revolutionsarmen England, wenn man bedenkt, dass sich dessen Geschichte eher durch Treue zur Monarchie und politische Balance auszeichnete. Ausnahme: das 17. Jahrhundert. Hier treffen Konfrontationen zwischen Parlament und Krone und insbesondere zwischen den vorherrschenden Religionen aufeinander. Hatte Elisabeth I. noch versucht, die religiösen Spannungen zwischen Protestanten und Katholiken zu mindern, fühlten sich insbesondere die Katholiken unter dem protestantisch orientierten König James I. und dem protestantisch dominierten Parlament in ihren Rechten bedroht.
Guy Fawkes damals und heute – in Großbritannien und darüber hinaus
Religiös motivierter Terror – die politischen Zustände im England des 17. Jahrhunderts bildeten den nachvollziehbaren Rahmen für den Anschlag. Doch was macht den Guy Fawkes Day heute noch für die Nachwelt interessant? Außer einem willkommenen Anlass zu feiern und tonnenweise Silvesterböller in die Luft zu jagen (ziemlich ironisch übrigens, bedenkt man, dass hiermit das Scheitern eines Sprengstoffattentats gefeiert wird!). Noch im Jahr des Anschlags zündete man zu Ehren des geretteten Königs in London Freudenfeuer an. Damals wie heute feiert man in England das Scheitern des Attentats als Huldigung der bestehenden und bewährten Ordnung, des Fortbestands der Monarchie. Noch heute hält sich der Brauch, vor der jährlichen Parlamentseröffnung die Kellergewölbe unterhalb des House of Lords zu untersuchen. Auch übergibt man vielerorts eine Guy Fawkes nachgebildete Puppe dem Feuer.
Guy Fawkes als Terrorist und Zerstörer der bestehenden Ordnung – dieses Bild hat sich im Lauf der Zeit jedoch erstaunlicherweise ins Gegenteil verkehrt. Anfang der 80er Jahre erfanden der Comicautor Alan Moore und der Zeichner David Lloyd in einem schwarz-weißen Comicmagazin die Dystopie eines faschistischen Englands. Als Protagonist kämpft ein gewisser V gegen ein totalitäres System – für die Befreiung von Tyrannei und Fremdbestimmung. Maskiert ist die Hauptfigur im Comic und im 2006 produzierten Film „V wie Vendetta“ mit dem stilisierten Gesicht von Guy Fawkes. Seitdem hat sich der Wandel der Figur Guy Fawkes vom Unruhestifter zum Freiheitskämpfer mehr und mehr verfestigt.
Das weltweite Internetphänomen Anonymous nutzt die Guy-Fawkes-Maske seit seiner Aktion gegen Scientology immer wieder für diverse Demonstrationen für Meinungsfreiheit und Unabhängigkeit des Internets. Weltweit tauchte die Maske zudem bei Protestaktionen auf, etwa während des Arabischen Frühlings, in Spanien oder in Nordamerika während der Occupy-Wall-Street-Bewegung.
Freiheitskämpfer, Rebell oder Anarchist – wie auch immer man Guy Fawkes und den Gunpowder Plot interpretieren möchte: Für viele Menschen in englischsprachigen Ländern wird der 5. November wohl einfach eine Art vorgezogenes Silvester oder die speziell britische Variante von Halloween bleiben. Für uns Sprachprofis übrigens nicht uninteressant: Vieles deutet darauf hin, dass der Gebrauch des Wortes „guy“ im Englischen auf jenen Protagonisten des 5. November 1605 zurückzuführen ist.