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Warum wir Schriftsprache brauchen – Gedanken zum Weltalphabetisierungstag

In Zeiten von Siri, Alexa und WhatsApp-Sprachnachrichten haben vielleicht schon so manch träge Tastentipper*innen oder gelangweilte Deutschunterricht-Gedichtsanalytiker*innen die leise Hoffnung geschürt, dass unsere geliebte Schriftsprache irgendwann ein überholtes Relikt der Vergangenheit ist. Warum brauchen wir überhaupt Schriftsprache? Anlässlich des heutigen Weltalphabetisierungstags möchten wir dieser Frage nachgehen.

 

Schriftsprache – eine kurze Einordnung

Schriftsprache gibt es nicht schon immer. Genauso wie gesprochene Sprache auch hat sie sich über die Zeit entwickelt und ist Teil des Menschseins geworden. Am anschaulichsten wird das wohl, wenn man sich Kommunikation bei Tieren ansieht. Vom Tanz der Bienen über eine australische Forscherin, die erstaunliche Erkenntnisse über das Muhen von Kühen gewinnen konnte, bis hin zu der Gorilladame Koko, die in der Lage war, über 1.000 Zeichen einer modifizierten amerikanischen Gebärdensprache korrekt zu verwenden: Tiere sprechen Sprache. Jedoch hat es keine Spezies dazu gebracht, eine Schriftsprache zu entwickeln – bis auf den Menschen. Während zu Beginn vermutlich nur mit einfachen bildhaften Symbolen kommuniziert wurde, entwickelten sich später immer abstraktere Schriftsysteme, die schließlich in unsere heutigen Schriftzeichen mündeten: lateinische, kyrillische, arabische, japanische, chinesische und viele mehr. Entsprechend ist die Schriftsprache Gegenstand verschiedenster Wissenschaftszweige: Archäologie, Geschichtswissenschaft, Kulturwissenschaft, Linguistik, Literaturwissenschaft – und die Liste kann noch lange fortgeführt werden.

Schriftsprache – ein Plädoyer

Aber warum brauchen wir jetzt Schriftsprache? Das erste Argument liegt auf der Hand: Wir brauchen Schriftsprache, um überhaupt eigenständig am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Diese Erfahrung teilen alle, die sich an ihr Leben vor dem Schriftspracherwerb erinnern können. Auch als Erwachsene überhören wir noch von Zeit zu Zeit ein Kind, das gerade lesen gelernt hat und nun so vergnügt alles liest, was ihm in die Quere kommt: Verkehrsschilder, Speisekarten, Papas Personalausweis. Mit dem Aufblühen der städtischen Lebenskultur vor einigen Jahrhunderten, in der Menschen enger zusammenlebten und sich organisieren mussten, erfuhr auch die Schriftsprache einen Aufschwung. Von der Fahrt zur Arbeit über den wöchentlichen Einkauf bis hin zur abendlichen Lieblingslektüre: Ohne (Kenntnis von) Schriftsprache sind all diese alltäglichen Ereignisse nicht vorstellbar.

Es gibt aber auch Gesichtspunkte, die über die Vereinfachung unseres Alltags hinausgehen. Rein mündlich kommunizierenden Kulturen eine Schriftsprache zu verleihen, wird beispielsweise als eine Lösung genutzt, um diese Sprachen vor dem Aussterben zu retten. Wenn man bedenkt, dass rund die Hälfte aller Sprachen weltweit (ca. 6.000) vom Aussterben bedroht ist, spricht die Tatsache, dass wir mittels Schriftsprache einen Teil davon retten können, als Argument für die Bedeutung von Schriftsprache wohl für sich. Abgesehen davon kann und muss Schriftsprache in Form von Literatur als Medium unserer Kultur gesehen werden. Eine Welt ohne Bücher, Gedichte oder Blogbeiträge? Kaum auszudenken! Aber egal, ob Kino, Konzert oder Kriminalroman: Warum sollten wir uns willentlich einer Option berauben, unsere Kultur zu genießen und weiterzuentwickeln?

Schriftsprache ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Kultur, in den Wissenschaften, aber auch schlicht: in unserem Alltag. Auch vor diesem Hintergrund schenken wir unsere Aufmerksamkeit dem heutigen Weltalphabetisierungstag.

Weltalphabetisierungstag – Zahlen und Fakten

Weltweit gibt es über 750 Millionen Erwachsene, denen basale schriftsprachliche Kompetenzen fehlen; in Deutschland sind ca. 7,5 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter sogenannte funktionale Analphabeten („leo. – Level-One Studie“, 2011), die zwar einzelne Sätze lesen oder schreiben, jedoch keine zusammenhängenden Texte verstehen können – egal wie lang (oder kurz) diese sein mögen. Rund 2 Millionen Menschen gelten darunter als Analphabeten im engeren Sinne, d. h., dass sie zwar einzelne Wörter lesend verstehen bzw. schreiben können – nicht jedoch ganze Sätze. Zudem müssen die betroffenen Personen auch gebräuchliche Wörter Buchstabe für Buchstabe zusammensetzen.

Seit 1967 begeht die UNESCO jährlich den „International Literacy Day“, den Welttag der Alphabetisierung, um die Öffentlichkeit an die Bedeutung der Alphabetisierung als einer Frage der Würde und Menschenrechte zu erinnern und so die Entwicklung hin zu einer immer stärker alphabetisierten und nachhaltigeren Gesellschaft voranzubringen.