image Buchstaben und Flügelzeichnungen: das Schmetterlingsalphabet image Statement zum Thema Künstliche Intelligenz

Eine Hommage ans Übersetzen

Vor Kurzem fragte eine angehende Übersetzerin aus unseren E-Learning-Kursen: Wie wird man denn eine gute Übersetzerin? Wo findet man die Regeln, die man befolgen muss, um so souverän zu werden wie erfahrene Kolleg*innen? Eine sehr reflektierte Frage. Die intuitive Antwort darauf: Du musst diesen Beruf lieben! Unsere Kollegin Ilona Riesen fasst am heutigen Internationalen Tag des Übersetzens zusammen, was sie an diesem Beruf liebt.

Eine philosophische Begriffsdefinition

Was ist das denn überhaupt: Übersetzen? Auf diese Frage habe ich persönlich mehrere Antworten.

  • Übersetzen ist Kunst.
  • Übersetzen ist Geschäft.
  • Übersetzen ist Verstehen.
  • Übersetzen ist Rätsellösen.
  • Übersetzen ist Durchhalten.
  • Übersetzen ist Sich-selbst-Finden.
  • Übersetzen ist Um-die-ganze-Welt-Reisen.

Übersetzen kann so viel sein – je nachdem, was man darin sucht und was man zulässt:

Wenn ich einen historischen Roman ins Deutsche übersetze, reise ich sogar durch verschiedene Jahrhunderte. Ich recherchiere nach französischen realen und fiktiven Namen, nach architektonischen Bauelementen der Burgen, nach Bezeichnungen der Folterinstrumente. Ich stehe gedanklich vor einem Ritter in voller Rüstung, der nicht weiß, wohin ihn das Schicksal in Person des Lehnsherrn als Nächstes schickt.

Wenn ich einen Geschäftsbericht eines internationalen Unternehmens übersetze, befinde ich mich in der Accounting-Abteilung des ausländischen Tochterunternehmens. Ich höre dem Buchhalter zu, der mir die dortigen Rechnungslegungsregeln möglichst kurz und klar zu erläutern versucht. Nur so kann ich den Unterschied zum deutschen System so in die Zielsprache übertragen, dass das zuständige Finanzamt die Übersetzung akzeptieren wird.

Und so reist man bei jedem Auftrag gedanklich von einer Themeninsel zur nächsten und sammelt Erfahrungen. Man kämpft mit Wörtern, die sich nicht übersetzen lassen wollen. Manchmal verliert man das Interesse oder die Geduld. Und dann findet man die Motivation wieder und weiß, warum man das alles tut.

Die Zukunft des Übersetzens

Und manchmal denkt man an die Zukunft und stellt sich die Frage: Stirbt der Übersetzerberuf aus?

Überall hört und liest man, dass Schreibberufe von der Künstlichen Intelligenz verdrängt werden. Ich habe darüber auch immer wieder nachgedacht und dann habe ich mich mit ChatGPT darüber unterhalten. Ich habe dem Tool ebendiese Frage gestellt und die Antwort lautet:

„Während maschinelle Übersetzungen für einfache, standardisierte Aufgaben nützlich sein können, ist der Beruf des Übersetzers bei komplexen und anspruchsvollen Übersetzungsarbeiten unverzichtbar. Die Rolle mag sich verändern und erweitern, aber sie wird voraussichtlich weiterhin relevant bleiben, insbesondere in Bezug auf Qualitätskontrolle, kulturelle Anpassung und Spezialisierung.“ – Da sind der Chatbot und ich dann tatsächlich ganz einer Meinung!

Und dann habe ich die KI noch gefragt, warum das Übersetzen für menschliche Übersetzer*innen eine so erfüllende Tätigkeit ist. Die Antwort:

„[W]eil es die Möglichkeit bietet, Sprache und Kultur zu vermitteln, intellektuell anspruchsvoll ist und einen wertvollen Beitrag zur Welt leisten kann. Für Menschen, die die Fähigkeiten und Leidenschaft dafür haben, kann es eine äußerst befriedigende Berufung sein.“ – Auch hiermit bin ich einverstanden.

Hilfe! Verdrängt mich jetzt die Maschine? Nein, denn ohne meine Fragen wären diese Antworten nicht entstanden. Ohne genaue Vorgaben hätte die KI keinen sinnvollen Text produzieren können.

Die Evolution des Übersetzens

Und so möchte ich diesen Artikel am heutigen Weltübersetzertag 2023 mit folgender Vision unseres Berufes abschließen:

Übersetzen ist ein Kunsthandwerk. Und wie jedes Kunsthandwerk durchläuft es eine jahrhundertelange Evolution. Vom Schreiben mit Feder auf Pergamentpapier über die mechanische Schreibmaschine bis hin zum Internet und der KI – das alles sind Entwicklungsschritte einer anspruchsvollen mentalen und kreativen Tätigkeit. Mit verschiedenen Werkzeugen kann diese Tätigkeit fortlaufend beschleunigt werden. Das Ergebnis wird allerdings immer nur maximal so gut sein wie der Mensch, der dieses Werkzeug bedient.